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Dr. Patricia Sitzenstock
20 August 2024 Lesezeit 5 Minuten

Heuernte - Den Zuckergehalt des Raufutters niedrig halten

Wie ernährst du dein Pferd gesund? Diese Frage stellen sich fast alle Pferdebesitzer regelmäßig. Entscheidend für eine gesunde Pferdefütterung ist in erster Linie ausreichend qualitativ hochwertiges Raufutter in Kombination mit einem Mineralfutter. Ein Pferd benötigt minimal 1,5% seines Körpergewichts an Raufutter – das macht 70% bis 100% der gesamten Fütterung aus. Unter Berücksichtigung des tatsächlichen Energiebedarfs deines Pferdes kann das Raufutter dann noch mit einem Kraftfutter ergänzt werden. Dies ist abhängig von der Zielsetzung, wie z.B. Arbeitsintensität, Konditionserhalt oder Muskelaufbau. Bei der Berechnung der täglichen Nährstoffzufuhr ist demnach nicht nur die Zusammensetzung der Kraftfuttersorten, sondern vor allem auch die des Raufutters entscheidend.

Gerade beim Raufutter kommt es teilweise allerdings zu sehr hohen Nährwertunterschieden. So wurde in manchen Raufutterproben ein Zuckergehalt von über 20% festgestellt – das ist deutlich mehr Zucker als viele Kraftfuttersorten enthalten. Frisst dein Pferd nun ca. 9 kg Heu pro Tag von diesem Raufutter, würde es gleichzeitig auch 1,8 kg Zucker aufnehmen. Besonders für Pferde, die an Krankheiten wie HufrehePSSM oder Cushing leiden, wird durch die hohe Zuckeraufnahme der ohnehin schon empfindliche Stoffwechsel zusätzlich belastet. Weniger Heu zu füttern, um die Zuckerzufuhr zu reduzieren, ist jedoch keine Alternative, da dein Pferd große Mengen Raufutter für zahlreiche lebensnotwendige Körperfunktionen unbedingt benötigt.

Wähle für empfindliche Pferde daher bevorzugt eine Raufuttersorte mit einem niedrigen Zuckergehalt (< 10%). Mähst du dein Heu selbst? Dann berücksichtige am besten einige Anhaltspunkte, um den Zuckergehalt deines Raufutters möglichst gering zu halten. 

Entscheidende Faktoren für den Zuckergehalt des Raufutters

Pflanzen nutzen Wasser, CO2 und Sonnenlicht, um durch Photosynthese Sauerstoff und Glukose zu produzieren. Glukose ist ein Einfachzucker und wird umgangssprachlich auch als Traubenzucker bezeichnet. Hierbei handelt es sich um ein Monosaccharid, also ein einfaches Zuckermolekül. In Kombination mit Fruktose (Fruchtzucker), bildet Glukose ein Disaccharid (Zweifachzucker) und ergibt Saccharose. Dieser ist auch bekannt als gewöhnlicher Haushaltszucker. Besonders gefürchtet von vielen Pferdebesitzern ist zudem der Fruktangehalt in frischem Gras und Heu. Fruktane sind Oligo- und Polysaccharide (langkettige, wasserlösliche Zuckermoleküle), die aus Fruktosemolekülen in unterschiedlicher Kettenlänge mit einem geringen Glukoseanteil bestehen. Fruktane machen etwa die Hälfte des Gesamtzuckers im Gras aus und dienen der Pflanze als Energiespeicher.

Frisches Gras enthält demnach reichliche Einfach- und Mehrfachzuckerverbindungen. Dieser Zucker, in erster Linie Fruktan, wird unter normalen Umständen tagsüber bei Sonnenlicht produziert und in warmen Nächten für das Pflanzenwachstum eingesetzt. Unter diesen Wettbedingungen „Tage mit viel Sonnenlicht und warmen Nächten“, ist ein Schnitt in den Morgenstunden demnach am sinnvollsten, um den Zuckergehalt im Heu niedrig zu halten. Kann die Pflanze in der Nacht jedoch nicht wachsen, z.B. weil die Nächte zu kalt sind, speichert sie das Fruktan ein. Dies führt dazu, dass der Zuckergehalt im Gras ansteigt. Wird das Gras in diesem Zeitraum geschnitten, enthält auch das daraus entstandene Heu eine größere Menge an Zucker.

Folgende Faktoren beeinflussen das Pflanzenwachstum, bzw. den Zuckergehalt: 

  1. Sonnenlicht

Scheint vermehrt die Sonne, findet gleichzeitig mehr Photosynthese statt. Diese beeinflusst die Produktion von Fruktan, weswegen der Zuckergehalt im Gras ansteigt.

  1. Erntestadium

Sobald Gras älter wird und blüht, beginnt es langsam zu „verholzen“. Das bedeutet, dass der Anteil der Zellwände in der Graspflanze zunimmt. Der Anteil von Eiweißen und Zucker nimmt dabei gleichzeitig ab, da die Pflanze weniger Platz zur Verfügung hat, diesen einzuspeichern. Sehr junges Gras hat demnach oft einen deutlich höheren Zuckergehalt als älteres Gras. Lass deine Weide also ruhig einmal gut wachsen und mähe sie nicht gleich zum Frühlingsanfang, um den Zuckergehalt im Raufutter niedrig zu halten. 

  1. Temperatur 

Ab einer Bodentemperatur von +5 Grad beginnt Gras zu wachsen. Bei Temperaturen unter 5 Grad, speichert die Graspflanze Fruktan ein, um diesen später bei wärmeren Temperaturen für das Wachstum zu nutzen. Sobald die Temperatur am Tag bei ca. 20 Grad, nachts über 10 Grad und die Bodentemperatur über 7 Grad liegt, kann die Pflanze den tagsüber produzierten Zucker nachts optimal in Fasern umwandeln und wachsen.

 Tägliche Variation des Zuckergehalts im Gras im Sommer

 

 

 

 

 

 

 

 

Abbildung 1: Tägliche Variation des Zuckergehalts (Gramm pro kg Trockensubstanz) unter normalen Sommerbedingungen Quelle: BLGG/Eurofins 2014

Diese Temperaturbedingungen erleben wir oft von Anfang Juni bis Anfang September. Unter diesen Voraussetzungen weist das Gras zwischen 5 und 6 Uhr morgens den niedrigsten Zuckergehalt auf, da die Pflanze den eingespeicherten Zucker während der Nacht für das Wachstum verbraucht hat. Mit Sonnenaufgang ab ca. 6 Uhr beginnt die Pflanze neuen Zucker einzuspeichern, weswegen auch der Zuckergehalt langsam ansteigt (Abbildung 1). Die ideale Tageszeit, um Heu mit einem niedrigen Zuckergehalt zu mähen, wäre somit zwischen 5 und 6 Uhr morgens. Schneide dein Gras in jedem Fall vor 10 Uhr, um den Zuckergehalt nicht zu stark ansteigen zu lassen.  Am Abend zwischen 18 und 21 Uhr ist der Zuckergehalt unter den oben genannten Temperaturbedingungen am höchsten. Schneide dein Heu also besser nicht am Abend, wenn du dir ein Raufutter mit niedrigem Zuckergehalt wünschst.

  1. Feuchtigkeit und Nährstoffe im Boden

Gras benötigt in erster Linie Wasser, um dem Boden Nährstoffe entnehmen zu können und zu wachsen. Enthält der Boden zudem zu wenig Nährstoffe, bleibt auch das Pflanzenwachstum aus. Dies ist besonders häufig bei einem Kaliummangel der Fall. Die Graspflanze speichert jedoch nach wie vor Fruktan ein. Aufgrund der schlechten Bodenqualität kann dieser allerdings nicht für das Wachstum verwendet werden – der Zuckergehalt der Pflanze steigt. Eine entsprechende Weidepflege und Düngung sind demnach ebenfalls entscheidend für Heu mit niedrigem Zuckergehalt.

     5. Jahreszeit

Auch die Jahreszeit beeinflusst den Zuckergehalt des Grases. Den höchsten Zuckergehalt misst man oft im April bis Anfang Mai. Die Sonnenstunden nehmen hier zu, jedoch ist es nachts noch sehr kalt. Die Pflanze produziert also viel Fruktan, kann diesen aber in der Nacht nicht für das Wachstum einsetzen und speichert ihn ein. Ende Mai bis Anfang Juni sinken die Zuckerwerte im Gras meist wieder, da es für die Pflanze nachts warm genug ist, um den gespeicherten Zucker für das Wachstum einzusetzen.

Jedoch können die Zuckerwerte im Gras auch während der Sommermonate stark ansteigen. Dies kann z.B. durch eine Trockenperiode verursacht werden. Wird das Gras nicht ausreichend bewässert, kann es nicht wachsen, speichert aber nach wie vor Fruktan ein. Allerdings befindet sich das Gras im Sommer schon in einem fortgeschrittenen Wachstumsstadium. Das bedeutet, dass der Anteil der Zellwände bereits zugenommen hat, weswegen der Pflanze weniger Platz bleibt, Zucker in den Zellen einzuspeichern.

Im Sommer ist der Zuckergehalt am frühen Morgen am niedrigsten und am frühen Abend am höchsten, da die Pflanze den tagsüber produzierten Fruktan in den warmen Sommernächten zum Wachstum einsetzen kann. Im Frühjahr findet man die höchsten Zuckerwerte im Gras auch am Nachmittag/Abend, jedoch nehmen diese aufgrund der geringen Temperaturen während der Nacht kaum ab. Auch im Herbst erreichen die Zuckerwerte gegen Nachmittag ihren Hochpunkt. Unterschiedlich zum Frühling ist jedoch, dass die Zuckerwerte in der Nacht oft wieder sinken und am Morgen rasant ansteigen (Abbildung 3).​

Einfluss der Jahreszeiten auf den Zuckergehalt im Gras

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Abbildung 3: Zusammenhang zwischen Tageszeit und Zuckergehalt in frischem Gras im Frühjahr und Herbst - Quelle: Eurofins 2021

     6. Einfluss der Graszusammensetzung

Der Zuckergehalt hängt auch von der Gräserzusammensetzung ab. Eine gute Pferdeweide enthält eine optimale Kombination aus strukturreichem Gras, wie z.B. Raygräsern, Rotschwengel, Wiesenrispengras und Timothee Gras. Diese Gräserzusammensetzung ist energieärmer und speziell auf den Nährstoffbedarf deines Pferdes angepasst.

Aktueller durchschnittlicher Zuckergehalt von Heu und Heulage in Deutschland

Laut der Lufa (Landwirtschaftliche Untersuchungs- und Forschungsanstalt) betrug der durchschnittliche Fruktangehalt der Ernte 2020 in Deutschland im Heu 6,1% und in der Heulage 4,7% in der Trockensubstanz. Der durchschnittliche Fruktangehalt im Heu und in der Heulage ist im Vergleich zu den letzten Jahren angestiegen. Dies kann unter anderem zurückzuführen sein auf eine unzureichende Düngung, Kälte und Trockenheit. 

Durchschnittliche Inhaltsstoffe und Energiewerte im Heu - Lufa 2020

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Quelle: LUFA Nord-West: Institut der Landwirtschaftskammer Niedersachsen 2020

Durchschnittliche Inhaltsstoffe und Energiewerte in Heulage - Lufa 2020

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Quelle: LUFA Nord-West: Institut der Landwirtschaftskammer Niedersachsen 2020

Generell sollte der Gesamtzuckergehalt im Raufutter nicht mehr als 10% betragen, um deinem Pferd keine erhöhten Mengen an Zucker zuzuführen. Besonders für erkrankte Pferde mit Hufrehe, Cushing oder PSSM kann dies ein gesundheitsentscheidender Faktor sein. 

Raufutterqualität: in 2022 ist der Zuckergehalt deutlich angestiegen

In den Jahren 2021 und 2022 führte Pavo gemeinsam mit Eurofins Agro über 5.500 Raufutteranalysen zum Gehalt an Zucker, Eiweiß und Energie durch. Betrachtet wurden Proben aus den Niederlanden, Belgien und Deutschland. Den gesamten Bericht findest du auch HIER.

Drastisch angestiegener Zuckergehalt

Der Zuckergehalt der Proben zeigt einen beunruhigenden Trend: Im Jahr 2021 wurde bei 33% der Raufutterproben ein hoher bis sehr hoher Zuckergehalt analysiert – in 2022 stieg dieser Anteil bereits auf 44%. Diese Ergebnisse sagen auch aus, dass fast die Hälfte der Heusorten, aus denen die Proben entnommen wurden, nicht für zuckerempfindliche Pferde geeignet sind. Um den Stoffwechsel deines Pferdes zu schonen, ist in diesem Fall eine Umstellung auf einen geeigneteren Raufutterersatz dringend zu empfehlen.

Deine Checkliste für eine niedrige Zuckeraufnahme durch Raufutter

  1. Sei bei Weidegang im Frühjahr besonders vorsichtig, vor allem wenn es nachts noch sehr kalt ist. Auch im Herbst ist Vorsicht geboten, wenn die Nächte kälter werden. Der Fruktangehalt im Gras kann hier besonders hoch sein. Es besteht Gefahr auf Hufrehe.
  2. Der Zuckerspiegel im Gras steigt bei Wassermangel und wenn der Boden nicht ausreichend gedüngt ist. Eine gute Weidebewirtschaftung ist also essentiell für Raufutter mit niedrigem Zuckergehalt. 
  3. Reifes Gras hat einen geringeren Zuckeranteil als junges Gras. Warte daher mit der Heuernte, bis das Gras gut gewachsen ist. 
  4. An einem gewohnten Sommertag ist der Zuckerspiegel am frühen Morgen am niedrigsten. Du bist bereit, dein Heu zu mähen? Dann liegt der optimale Schnittzeitpunkt zwischen 05:00 und 10:00 Uhr morgens.
  5. Du möchtest wissen, wie viel Zucker dein Raufutter enthält? Ein Raufutter Schnelltest gibt dir alle Informationen, die du benötigst. 

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